Hände weg vom besetzten Haus in Erfurt!

Be­setz­te Häu­ser sind bun­des­weit mitt­ler­wei­le so sel­ten ge­wor­den, dass mensch sie an einer Hand ab­zäh­len kann. Auch le­ga­le selbst­ver­wal­te­te Haus­pro­jek­te sind meist la­tent von der Schlie­ßung be­droht. Im April 2001 wurde ein Teil des ehe­ma­li­gen Topf & Söh­ne-​ Ge­län­des in Er­furt be­setzt. Seit Ok­to­ber die­sen Jah­res ist das Ge­län­de vom Ab­riss be­droht. Das Grund­stück wurde bis zum Be­ginn des Jah­res 2007 not­ver­wal­tet und dann an die Do­mi­cil Haus­bau GmbH und Co KG aus Mühl­hau­sen ver­kauft. Nach­dem der Not­ver­wal­ter die Be­set­zung ge­dul­det hatte, kün­dig­te der neue Be­sit­zer Herr Golla nach einer kur­zen Zeit der Dul­dung nun an, dass er alle Ge­bäu­de auf dem be­setz­ten Areal so schnell wie mög­lich ab­rei­ßen will. Ge­plant ist an ihrer Stel­le ein Ge­wer­be-​ und Wohn­ge­biet an­zu­sie­deln.

Das Ge­län­de – J. A. Topf & Söhne

Auch alle rest­li­chen Ge­bäu­de auf dem Ge­län­de sol­len ab­ge­ris­sen wer­den, mit Aus­nah­me des ehe­ma­li­gen Ver­wal­tungs­ge­bäu­des der Firma Topf & Söhne. Hier soll ein Ge­schichts­ort ent­ste­hen, der schon seit Ende der 90er von ver­schie­de­nen Grup­pen in Er­furt – und seit 2001 auch von den Be­set­zer_in­nen – ge­for­dert wird. Die Firma hatte im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus Kre­ma­to­ri­en für Kon­zen­tra­ti­ons-​ und Ver­nich­tungs­la­ger wie Bu­chen­wald und Ausch­witz pro­du­ziert und ist damit eines der be­deu­tends­ten Bei­spie­le für die Be­tei­li­gung der zi­vi­len In­dus­trie am Ho­lo­caust. Mit der Be­set­zung eines Teils des ehe­ma­li­gen Fir­men­ge­län­des war der Be­schluss ver­knüpft, sich mit deren Ge­schich­te kri­tisch aus­ein­an­der­zu­set­zen und die Be­mü­hun­gen um einen Ge­schichts­ort zu un­ter­stüt­zen.

Häu­ser­kampf vor der Be­set­zung

In Er­furt hatte es vor die­ser Be­set­zung drei Jahre lang kein lin­kes selbst­ver­wal­te­tes Zen­trum ge­ge­ben. Nach­dem das le­ga­le Haus­pro­jekt “Korax” von der Stadt ge­schlos­sen wurde, hatte es von der Stadt zwar Ver­spre­chun­gen für ein neues Pro­jekt ge­ge­ben, je­doch wurde kein ge­eig­ne­tes Ob­jekt vor­ge­schla­gen. Des­halb be­schlos­sen die Leute, sich nicht mehr auf die Stadt zu ver­las­sen und be­setz­ten leer­ste­hen­de Häu­ser. Nach meh­re­ren ge­schei­ter­ten Ver­su­chen glück­te dann die Be­set­zung eines Teils des ehe­ma­li­gen Topf & Söh­ne-​ Ge­län­des.

Be­setz­tes Haus Er­furt – ein so­zio­kul­tu­rel­les und po­li­ti­sches Pro­jekt

Im Laufe der Jahre ent­stan­den hier jede Menge Wohn­raum, ein Bau­wa­gen­platz, Kon­zert-​ und Par­ty­räu­me, Band­pro­be­räu­me, ein In­fo­la­den/Le­se­ca­fe, ein Kino, ein Um­sonst­la­den, Werk­stät­ten, ein Sport­raum und eine “Küche für alle”. Wei­ter­hin bie­tet das Be­setz­te Haus Raum für po­li­ti­sche Grup­pen und wird selbst po­li­tisch aktiv. Vor dem Hin­ter­grund, dass sich das Pro­jekt auf einem Ort be­fin­det, an dem die Täter des Ho­lo­caust aktiv waren, wird sich mit der Ge­schich­te der Firma Topf & Söhne aus­ein­an­der­ge­setzt. Auf den öf­fent­li­chen Ver­an­stal­tun­gen und Rund­gän­gen über das Ge­län­de wird be­son­ders die frei­wil­li­ge en­ga­gier­te Be­tei­li­gung der nor­ma­len deut­schen Be­völ­ke­rung an der tech­ni­schen Um­set­zung der mas­sen­haf­ten Men­schen­ver­nich­tung her­aus­ge­ar­bei­tet. Eben­so wird auf­ge­zeigt, dass An­ti­se­mi­tis­mus, Ras­sis­mus, Lohnar­beit als Le­bens­mit­tel­punkt und ein­zi­ger an­er­kann­ter Le­bens­un­ter­halt sowie das Ab­de­le­gie­ren von Ver­ant­wor­tung nach “Oben” aus­schlag­ge­bend für die Be­tei­li­gung der Mit­ar­bei­ter_in­nen von Topf & Söhne waren. Das Be­setz­te Haus ver­sucht durch Un­ter­stüt­zung der Kri­tik an den oben ge­nann­ten ge­sell­schaft­li­chen Me­cha­nis­men in der heu­ti­gen Ge­sell­schaft rech­te Ten­den­zen zu­rück zu drän­gen. Davon un­ab­hän­gig ver­su­chen die Be­set­zer_in­nen Kri­tik an ge­sell­schaft­li­chen Struk­tu­ren wie Se­xis­mus, Ho­mo­pho­bie und Ka­pi­ta­lis­mus an die Öf­fent­lich­keit zu brin­gen. Im Pro­jekt wird ver­sucht diese Kri­tik best­mög­lich prak­tisch um­zu­set­zen, wobei die­sem Vor­ha­ben durch ge­sell­schaft­li­che Rah­men­be­din­gun­gen Gren­zen ge­setzt sind. Wich­tig ist uns des­halb eine Ver­än­de­rung der Ge­sell­schaft an­zu­stre­ben und nicht nur eine wi­der­spruchs­freie “Ni­sche im Sys­tem” zu schaf­fen. Nichts­des­to­trotz ist das Be­setz­te Haus für viele Leute ein wich­ti­ger Rück­zugs­ort weil hier Nazis nicht ge­dul­det und Men­schen un­ter­stützt wer­den, die von se­xis­ti­schen oder ras­sis­ti­schen Über­grif­fen be­droht sind. Auch Leute die sich kul­tu­rel­le Ver­an­stal­tun­gen oder Kon­zer­te oft nicht leis­ten kön­nen, wer­den hier weit­aus we­ni­ger aus­ge­schlos­sen. Pro­jek­te die­ser Art be­sit­zen in Thü­rin­gen Sel­ten­heits­wert. Die­sen lin­ken, selbst­ver­wal­te­ten Raum zu er­hal­ten ist umso wich­ti­ger, weil es auch in Thü­rin­gen ein Er­star­ken rech­ter Ten­den­zen gibt.

Stadt­ent­wick­lung – Dem Ka­pi­ta­lis­mus den Weg be­rei­ten

Hier­zu ge­hört neben der stär­ker wer­den­den Or­ga­ni­sie­rung der rech­ten Szene die Ver­drän­gung von Sub­kul­tu­ren und Min­der­hei­ten aus dem öf­fent­li­chen Raum und die ste­ti­gen Kür­zun­gen im Be­reich der al­ter­na­ti­ven Kul­tur. So wurde im Som­mer 2008 das Trin­ken von Al­ko­hol in der Er­fur­ter In­nen­stadt ver­bo­ten. Diese Maß­nah­me rich­tet sich vor allem gegen einen lang­jäh­ri­gen Treff­punkt der Al­ter­na­ti­ven-​ und Punk­sze­ne hin­ter der Krä­mer­brü­cke, einem be­lieb­ten Tou­ris­t_in­nen­ziel. Auch die Strei­chung der För­der­gel­der für das Er­fur­ter Kunst­haus und an­de­re Orte für zeit­ge­nös­si­sche Kunst, wie das Cafe Togo, das Grüne Haus und der Ki­no­club Hirschlach­ufer, ist sym­pto­ma­tisch für eine Kul­tur­po­li­tik, die al­lein die Ren­ta­bi­li­tät in den Mit­tel­punkt stellt. Diese Po­li­tik ist Teil einer neo­li­be­ra­len Ideo­lo­gie die mitt­ler­wei­le auch in Er­furt an­ge­kom­men ist. Das Ziel die­ser Ideo­lo­gie be­steht darin, best­mög­li­che Be­din­gun­gen für die Wirt­schaft zu schaf­fen und mög­lichst viele ge­sell­schaft­li­che Teil­be­rei­che unter das De­kret ka­pi­ta­lis­ti­scher Kon­kur­renz zu stel­len. Vor­aus­set­zung dafür ist die An­nah­me, die Wirt­schaft re­ge­le alle Be­lan­ge am bes­ten. Zur Durch­set­zung ge­hört dann eine or­dent­li­che und sau­be­re Stadt, ohne her­um­lun­gern­de Sub­kul­tu­ren die beim Kon­su­mie­ren stö­ren und die Ver­rin­ge­rung oder gar Ein­stel­lung von För­de­rungs­zah­lun­gen an Kunst und Kul­tur, die sich nicht zu loh­nen scheint. Es gilt alles zu kon­trol­lie­ren und für den frei­en Markt nutz­bar zu ma­chen.

Ver­ein als Be­din­gung für ein Al­ter­na­tiv­ob­jekt

Dem ge­gen­über steht das Be­setz­te Haus, ein Pro­jekt, das sich nicht kon­trol­lie­ren lässt und sich auch nicht an bü­ro­kra­ti­sche Spiel­re­geln hält. Die Stadt for­dert von uns, dass ein Ver­ein ge­grün­det wird, um ein Er­satz­ob­jekt zu er­hal­ten. Mit solch einer Ver­eins­struk­tur wür­den sich aber un­wei­ger­lich Hier­ar­chi­en unter den Nut­zer_in­nen her­aus­bil­den und die Ein­schrän­kun­gen durch Be­hör­den wären nicht ab­seh­bar. Wir sehen darin einen gro­ßen Nach­teil und fürch­ten um das Pro­jekt in sei­ner jet­zi­gen Form – selbst­ver­wal­tet, hier­ar­chie­arm und an den Be­dürf­nis­sen der Nut­zer_in­nen ori­en­tiert.

Wir blei­ben alle!

Die na­he­zu per­fek­te Lage des Pro­jek­tes und die jah­re­lan­ge Kraft und Hoff­nung, die wir in den Auf­bau der Räum­lich­kei­ten ge­steckt haben sind wich­ti­ge Grün­de für uns, an dem Ver­bleib des Pro­jek­tes auf dem ehe­ma­li­gen Topf & Söh­ne-​ Ge­län­de fest­zu­hal­ten. In einer Zeit von mehr als sie­ben Jah­ren ist die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Ge­schich­te des Ge­län­des zu einem we­sent­li­chen Be­zugs­punkt für uns ge­wor­den. Über sie­ben Jahre haben wir un­se­re Kraft, Phan­ta­sie und Träu­me in die­sen Ort ge­steckt und ein so­zio­kul­tu­rel­les Zen­trum mit brei­ter Aus­strah­lung ge­schaf­fen – das wer­den wir nicht ein­fach auf­ge­ben.

Un­ter­stützt uns im Kampf um den Er­halt des Be­setz­ten Haus Er­furt!
Kommt zur De­mons­tra­ti­on am 22. No­vem­ber 2008 um 13.​00 Uhr auf den Bahn­hofs­vor­platz Er­furt!

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