Greiz – Antifaschistische Spontandemonstration als Reaktion auf Naziübergriff

Am Abend des 17. Juni 2011 ereignete sich in Greiz ein brutaler Naziübergriff auf ein Konzert, welches im Rahmen des jährlichen „Schlossfolk-Festivals“ stattfand. Gegen Mitternacht attackierten etwa 15 Nazis das im Hof des unteren Schlosses befindliche Konzert der Band „44 Leningrad“, nachdem sie sich zuvor im Eingangsbereich gesammelt hatten und bereits dort durch Zeigen des Hitlergrußes und Pöbeleien auf sich aufmerksam gemacht hatten.

Zuerst attackierte die Nazigruppe eine Einzelperson, welche den Veranstaltungsort verlassen wollte. Anschließend ging die Meute zum direkten Angriff auf die Veranstaltung über. Augenzeugenberichten zufolge flogen Gläser, Aschenbecher und Bierbänke, auch Pfefferspray wurde durch die Angreifer eingesetzt. Mehrere Personen wurden erheblich verletzt und mussten sich in ärztliche Behandlung begeben. Erst die entschlossene Gegenwehr mehrerer KonzertbesucherInnen führte dazu, dass sich die Nazis zurückziehen mussten. Die herbeigerufene Polizei bewies ihre Unfähigkeit (oder ist da schon politische Absicht zu erkennen?), indem sie nach Eintreffen zuerst einmal die Personalien anwesender linker Jugendlicher und KonzertbesucherInnen aufnahm, anstatt sich mit dem Nazimob zu beschäftigen, welcher sich noch immer in unmittelbarer Nähe aufhielt.

Spontandemo in der Innenstadt

Um auf die Ereignisse des Vorabends aufmerksam zu machen und die Wut über die von rechter Gewalt geprägten Zustände in Greiz auf die Straße zu tragen, versammelten sich am darauffolgenden Nachmittag ca. 60 AntifaschistInnen aus Greiz und umliegenden Städten zu einer Spontandemo. Das Spektrum der Demo kann als sehr vielfältig bezeichnet werden. Neben einem kleinen aber entschlossenen Black Block an der Spitze waren Antifas, Punks, engagierte BürgerInnen und Jugendliche vertreten. Beginnend am Arbeitsamt bewegte sich die Demonstration laut und kraftvoll quer durch die Innenstadt. Die anwesenden Cops hielten sich zurück und begnügten sich damit, den Verkehr zu regeln. Im weiteren Verlauf schlossen sich einige lokale Jugendliche der Demo an, sodass zwischenzeitlich fast 80 TeilnehmerInnen gezählt werden konnten. Auf dem Markt wurde eine Zwischenkundgebung abgehalten. Für etwa 20 Minuten musste das anwesende Partypublikum mit einer Unterbrechung der Bier- und Bockwurstatmosphäre vorlieb nehmen. Einer kleineren Gruppe von Jungnazis wurden zudem antifaschistische Platzverweise erteilt. Anschließend bewegte sich die Demo geschlossen wieder zum Ausgangspunkt zurück. Angesicht dessen, dass sich zur Zeit der Demo viele FestbesucherInnen und AnwohnerInnen in der Innenstadt aufhielten, erreichte das Anliegen der Demo eine erhebliche Öffentlichkeit.

Greiz – braun statt bunt?

In den vergangenen Jahren zeichnete sich die Situation in Greiz durch wiederholte Naziübergriffe und eine rechte Hegemonie im Alltag aus. Die Präsenz von Nazis im Stadtbild ist erheblich, der NPD-Kreisverband vergleichsweise aktiv und im Umland fanden wiederholt Naziveranstaltungen statt. Dies lässt auf eine schrittweise Etablierung einer rechten Erlebniskultur schließen. Beispiele dafür sind das „Drei-Mädle-Haus“ in Schönbach (ca. 12km von Greiz entfernt), welches mehrmals Austragungsort neofaschistischer Veranstaltungen war und mittlerweile wieder geschlossen ist; sowie der Szeneladen „Nordlicht“ im nur 10km entfernten Netzschkau (auch dieser ist im Moment geschlossen). Zudem findet mittlerweile seit dem Jahr 2002 jährlich ein „Rudolf-Hess-Gedenkturnier“ statt, welches fußballbegeisterte Nazis aus der ganzen Region ins Greizer Umland lockt.

Allein die Chronik ausgewählter Vorfälle der Jahre 2009 bis 2011 zeigt die Dimension des Naziproblems in Greiz: zuletzt wurden am 26.05.2011 mehrere PKWs mit Naziparolen und -symbolen beschädigt (Quelle: move-vogtland.de). Im Juli 2010 bedrohte eine größere Nazigruppe den Streetworker, MitarbeiterInnen und Gäste eines Greizer Jugendclubs. Zuvor kam es bereits im Mai 2010 nahe Greiz zu einem Übergriff von ca. 20 Nazis auf 6 alternative Jugendliche, wobei zwei Jugendliche erhebliche Verletzungen davon trugen. Des Weiteren wurden im Bürgerbuero der Partei DIE LINKE im Jahre 2010 drei Mal die Scheiben eingeschmissen. Im Juni 2009 überfielen drei Nazis (darunter ein Mitglied der NPD Greiz und ein bereits wegen des Brandanschlages auf das Greizer Asylbewerberheim vorbestrafter Mann) die Wohnung eines Migranten, wobei dieser verletzt wurde. Auch hier fällt vor allem das skandalöse Vorgehen der Polizei auf: der Betroffene des Übergriffs wurde in Handschellen abgeführt und musste die Nacht auf der Polizeiwache verbringen (Quelle: elsterpiraten.blogsport.de/2011/01/05/greiz-kurzer-prozess).

Ausblick

Immerhin kam es im Jahr 2010 zur Bildung des „Bunten Bündnis“. Dieses sieht sich als überparteiliches Bürgerbündnis, welches vor allem als zivilgesellschaftlicher Akteur gegen rassistische und faschistische Aktivitäten auftreten will. Wie die Realität des Bündnisses in Zukunft aussieht, bleibt spannend: es ist zu hoffen, dass sich die Arbeit des Bündnisses nicht vom derzeit allgegenwärtigen Extremismusquatsch vereinnahmen lässt und dass auch inhaltlich konsequent gegen rechtes Gedankengut Stellung genommen wird. Dass das Bündnis aktiv an der Organisation und Durchführung der Demo vom 18.06.2011 beteiligt war, ist dabei ein sehr positives Signal.

Die Ereignisse in Folge der Demonstration hingegen zeigen nach wie vor die Realität einer provinziellen Kleinstadt, wie sie grotesker mitunter nicht sein kann. Drei Nazis wurden von der Polizei identifiziert und festgesetzt, zwei unterdessen wieder freigelassen. Während sich der lokale NPD-Kreisverband wohl auf Grund des großen Presseechos genötigt fand, sich auf der Homepage von der Gewalttat zu distanzieren (und sogar einräumte, dass von einem rechten Hintergrund auszugehen ist), warnt der Greizer CDU-Ortsvorsitzende ganz im Sinne der aktuellen Extremismusdebatte vor einer „Vereinnahmung des Stadtfestes durch Rechte oder Linke Krawallmacher“ (Quelle: OTZ). Trotz der kurzzeitigen Präsenz des Themas in der örtlichen Presse wagte niemand auch nur ansatzweise, das Problem beim Namen zu nennen: einen offensichtlichen rassistischen und nationalistischen Konsens in der Öffentlichkeit, der rechte Übergriffe so lange verschweigt, bis es mit dem Schloss- und Parkfest doch einmal die „Mitte“ der Gesellschaft trifft. Und so bleibt nach dem ersten Aufschrei in Presse und Lokalpolitik vorerst wieder alles beim Alten. Die Erkenntnis ist die gleiche: entschlossene antifaschistische Intervention ist mehr denn je bitter nötig.