Das Freie Netz Süd & Nazistrukturen im Vogtland

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Im Vorfeld der „Let’s Take It Back“-Antifademo am 1. Mai in Plauen und dem Naziaufmarsch am gleichen Tag wollen wir, AntifaschistInnen aus der Region, über das „Freie Netz Süd“ und Nazistrukturen im Vogtland informieren.


Das Freie Netz Süd

Das „Freie Netz Süd“ ist ein militanter rechter Kameradschafts-Dachverband aus Süddeutschland und streckt seit einiger Zeit seine aktionistischen Fühler auch über bayerisches Terrain hinaus aus. Als Nachfolgestruktur der im Jahre 2004 verbotenen „Fränkischen Aktionsfront“ (FAF) ist das FNS inzwischen seit 2009 aktiv. Staatliche Behörden gingen teilweise von etwa 20 Kameradschaften aus, die bayernweit im FNS organisiert sind. Die Zahl dürfte jedoch inzwischen deutlich unter diesem Level liegen.

Durch das teilweise militante Auftreten des FNS und der scheinbar „antikapitalistischen“ Agitation, die sich vor allem in einer völkisch-nationalistischen Rhetorik zeigt, steht das FNS vor allem in Bayern häufig in Opposition zur NPD. Teilweise ist das FNS jedoch auch mit sich bürgerlich gebenden „Tarnorganisationen“ in lokalen Stadträten vertreten – Beispiel ist die „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ in Nürnberg und München. In Fürth hingegen scheiterte die „Bürgerinitiative Soziales Fürth“ 2014 mit diesem Vorhaben.

Wichtigste Kader des FNS sind Matthias Fischer (Fürth), Norman Kempken (Nürnberg), Sebastian Schmaus (Nürnberg), Lutz Passon (Landkreis Forchheim), Stefan Deinlein (Pegnitz)und Tony Gentsch (Hof). Auch der wegen eines versuchten Sprengstoffanschlags auf das jüdische Zentrum in München verurteilte Neonazi Martin Wiese aus Landau ist in FNS-Kreisen aktiv. Als organisatorische Stützpunkte nutzt das FNS vor allem ein angemietetes Haus in München-Obermenzing, in dem u.a. im Oktober 2013 der Neonazi-Musiker „Lunikoff“ auftrat, sowie einen ehemaligen Gasthof in Oberprex. Oberprex ist Teil der Gemeinde Regnitzlosau und liegt nur wenige Kilometer von Hof entfernt. Neben dem Führungskader Tony Gentsch sind dort verschiedene Nachwuchskräfte des FNS wie Jan Blümig und Benjamin Mießner ansässig.

In den letzten Jahren hat das FNS durch eine Vielzahl von Aktionsformen von sich Reden gemacht. Zwar kommen immer wieder Zweifel an der organisatorischen Stärke des Netzwerks auf – das FNS ist vor allem durch kleine Aktionen medial präsent und verkauft jede kleine Flyerverteilung medienwirksam im Internet. Dennoch ist das Netzwerk nach wie vor bayernweit aktiv und unterhält gute Kontakte sowohl nach Tschechien als auch zur griechischen Nazipartei Chrysi Avgi. Neben den jährlichen Demonstrationen zum 1. Mai in verschiedenen Städten (so z.B. in Würzburg, Schweinfurt, Hof) zählen sowohl rassistische Mobilisierungen gegen Flüchtlingsunterkünfte als auch militante Anschläge gegen linke Projekte (wie z.B. in München und Fürth) zum Aktionsspektrum des Kameradschaftsnetzwerks.

Inzwischen verdichten sich jedoch die Zeichen für ein bevorstehendes Verbot des FNS: Im April 2012 sprach sich der bayrische Landtag geschlossen für ein Verbot aus. Schließlich kam es im Juli 2013 zur bisher größten Razzia gegen das FNS, bei dem der bayrische Staat insgesamt 700 Beamte einsetzte und über 70 Wohnungen und Gewerberäume in ganz Bayern durchsuchte.

Bedeutungsverlust oder Reorganisation

Seit Jahren veranstalten die süddeutschen Nazis am 1. Mai eine Großdemo – die Teilnehmer*innenzahlen sind jedoch im konstanten Sinkflug begriffen, von etwa 1.000 in Schweinfurt (2010) zu 350 in Würzburg (2013). Dennoch ist die neonazistische 1.-Mai-Demo des FNS nach wie vor einer der wichtigeren Kalendertermine der organisierten Kameradschaftsszene. Mittlerweile beobachten Kenner der Szene die Tendenz, dass sich das FNS in der neuen rechten Kleinstpartei „Der dritte Weg“ zu reorganisieren beginnt – auch um nach einem eventuellen Verbot des Kameradschaftsnetzwerks weiter auf organisierte Strukturen zurückgreifen zu können. Auch sonst ist das Netzwerk zumindest angeschlagen: Immobilienprojekte wie in Nürnberg scheiterten unter anderem am lokalen Widerstand von Bürgern, Behörden und Antifaschist*innen. Das vor allem finanziell bedeutende Rechtsrockfestival „Europa erwache“ musste im vergangenen Jahr ausfallen. Und auf Kameradschaftsebene ist das Netzwerk vielerorts umstritten.

„Der dritte Weg“ wurde im September 2013 in Heidelberg gegründet und orientiert sich sowohl inhaltlich als auch von der Ästhetik her an sogenannten „nationalrevolutionären“ Strömungen, wie dem „25-Punkte-Programm“ der NSDAP. Mittlerweile wurde bei einer Vielzahl von rechten Kundgebungen und Demos wie in Wunsiedel und Greiz Werbung für die neue Partei gemacht. Inzwischen tritt „Der dritte Weg“ als offizieller Organisator von Aufmärschen wie am 15.02. beim Dresden-Ersatzmarsch im tschechischen Karlovy Vary oder eben auch am 1. Mai diesen Jahres in Plauen auf.

The same procedure as every year

Selbst in der tiefsten bayrischen Provinz weht dem FNS inzwischen entschiedener Widerstand entgegen – flächendeckend, wie sich erneut im April auf der völlig erfolglosen Mobilisierungstour des FNS durch Nordbayern zeigte. Nicht einmal 20 Kundgebungsteilnehmer*innen fanden sich am Abend des 11. April in Plauen ein, diese wurden trotz der Mobilisierungszeit von nur einem Tag von über 100 Gegendemonstrant*innen übertönt. Am folgenden Tag stellten sich in den Städten Münchberg, Helmbrechts, Hersbruck, Bayreuth und Deggendorf jeweils mehrere hundert Menschen dem „Wanderzirkus“ des FNS entgegen.

Bereits in den vorherigen Jahren waren die Mobilisierungstouren des FNS im Vorfeld des 1. Mai jeweils grandios gescheitert. Ob mediale Strategie oder blanker Realitätsverlust: Warum das FNS dennoch jedes Jahr aufs Neue von einer „erfolgreichen Mobilisierung“ für den 1. Mai phantasiert, bleibt fraglich. Die Aufmerksamkeit in den Medien kann dem Kameradschaftsnetzwerk jedoch gewiss sein, und genau das scheint gerade in Zeiten einer drohenden organisatorischen Krise zu zählen.

Die RNJ – FNS-Angliederung in Westsachsen

Auch die regionalen Nazis sind mittlerweile eng mit dem FNS verknüpft – die Kameradschaft RNJ (Revolutionäre Nationale Jugend Vogtland), welche von 2011-2013 einen sogenannten „Trauermarsch“ in Plauen mit bis zu 180 Teilnehmer*innen veranstaltete, hat sich faktisch in Luft aufgelöst. Die verbliebenen Aktivist*innen sind jedoch ins FNS gewechselt. Zu diesen zählen vor allem Thomas Heyer (Plauen), Harald Otto (Oelsnitz), Marcus Wawra (Plauen), Rico Döhler (Ellefeld) und Kevin Pahnke (Auerbach). Und so hat es im Jahr 2013 in Plauen zwei Nazikundgebungen, die vom FNS mit organisiert waren, gegeben.

Über die RNJ Vogtland wurde von antifaschistischen Gruppen bereits viel berichtet. Seit ihrer Gründung 2010 versuchte die hauptsächlich von jungen Akteuren geprägte Kameradschaft, im Oberen Vogtland um Auerbach, Ellefeld und Falkenstein eine nationale Homezone zu etablieren. Eine Zeit lang gelang es der Gruppe tatsächlich, auch „unpolitische“ Jugendliche für einen rechten Lifestyle inklusive Demotourismus und nächtlichem Aktionismus zu begeistern. Aufmerksamkeit erregte die Kameradschaft vor allem durch rassistische Mobilisierungen wie am 29.10.2011 in Plauen und die sogenannte „Volkstod-Kampagne“. Im Zuge dessen führte die RNJ am 24.07.2011 einen sogenannten „Unsterblichen“-Aufmarsch in der Kleinstadt Rodewisch durch. Nach einer kurzen Phase staatlicher Repression und dem Rückzug einiger junger Nazis wahlweise ins Private oder die lokale Drogenszene ging es mit der RNJ deutlich bergab.

Von gestern zu morgen – Nazis in der Region

Nach wie vor kann Plauen nicht als Schwerpunkt rechter Aktivitäten angesehen werden. Die 65.000-Einwohner-Stadt verfügt nur über ein kleines organisiertes Neonazi-Spektrum. Eine Handvoll aktiver Jungnazis organisiert sich seit etwa zwei Jahren im Umfeld der RNJ bzw. des FNS. Der lokale NPD-Kreisverband steckt seit Jahren in einer tiefen Krise, an der auch die Delegierung des NPD-Bundesvorstandsmitglieds Arne Schimmer nach Plauen nichts ändern konnte.

Dennoch steht die Stadt spätestens seit 2011 im Fokus regionaler Kameradschaften, vor allem als öffentlichkeitswirksamer Aufmarschort. Drei „Trauermärsche“ und mehrere Kundgebungen aus dem Kameradschaftsspektrum, zudem der Versuch, am 20.05.2012 einen NPD-Landesparteitag in Plauen abzuhalten, sind ein deutlicher Beleg dafür. Des Weiteren fand in Zobes nahe Plauen am 08.06.2013 der JN-Sachsentag statt. Über 700 Nazis besuchten das Rechtsrock-Festival, das gezielt vor allem rechte Jugendliche ansprechen sollte.
Im Plauener Umland sieht noch deutlich problematischer aus: Das ostthüringische Greiz war in der zweiten Hälfte des Jahrs 2013 Schauplatz einer rassistischen Kampagne gegen Asylbewerber*innen, die unter dem Deckmantel einer „Bürgerinitiative“ von lokalen Nazis initiiert wurde. In Greiz und Reichenbach bildete sich mit den „Freien Kräften Vogtland“ (FKV) eine neue Kameradschaftsstruktur heraus. Beide Städte stehen schon seit Jahren für eine gefestigte rechte Erlebniswelt mit Kameradschaftsabenden, Rechtsrockkonzerten, Naziläden, einem „Rudolf-Hess-Gedenkfußballturnier“ und Verbindungen zum „Blood & Honour“-Netzwerk. Auch im ostthüringischen Zeulenroda gibt es Anzeichen dafür, dass Nazis eine Lokalität angemietet haben, um dort künftig Konzerte durchzuführen. Der NPD-interne „Freundeskreis Udo Voigt“ führte am 20.11.2013 eine Großveranstaltung im Gasthof „Anker“ in Theuma“ mit etwa 250 Gästen durch. Im nahegelegenen Zobes ist der Gasthof „Haack“ seit langem ein Rückzugsort für neonazistische Aktivitäten. Das komplette vogtländische Hinterland gilt als Hochburg der radikaleren Strömungen in der NPD, die Udo Voigt erneut zum Parteivorsitz befördern wollten.

Auch in Plauen gibt es in den letzten Jahr Anzeichen, dass sich neonazistische Strukturen verstärkt aus dem Hintergrund in die Öffentlichkeit drängen wollen. Auf Rückendeckung „erfahrener“ Kader können sich potentielle Nachwuchskräfte dabei verlassen: Bernd Grett, ehemals Mitglied der rechtsterroristischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“, betreibt eine Fahrschule an der Plauener Friedensstraße. Und in der Rädelstraße, nur wenige Meter vom Stadtzentrum entfernt, befindet sich ein NPD-„Bürgerbüro“. In der Jößnitzer Straße sorgt ein „Thor Steinar“-Laden inzwischen für den Nachschub an rechter Lifestylekleidung. Das Pub „O’Connors“ ist beliebter Treffpunkt bei rechten Jugendlichen. Und vor allem in einer nur schwer durchdringlichen Parallelwelt aus Rockergangs (vor allem das mittlerweile verbotene „Gremium“) und Türsteherszene etabliert sich zunehmend nationalistisches und rassistisches Gedankengut fernab von Parteien und Kameradschaften. So verübten Mitarbeiter der Sicherheitsfirma „C.O.P.S.“ wiederholt rassistische Übergriffe auf Migrant*innen in der Innenstadt. Teilweise rekrutierten sich diese aus ehemaligen Kameradschaftsstrukturen wie dem „Plauener Jungsturm“. Auch mehrere Anschläge auf ein islamisches Kulturzentrum in Plauen zeigen die Gefahr eines sich verschärfenden rassistischen Klimas in der Stadt.