Gera: Können wir doch nix für, wenn was zu Bruch geht!

Be­reits zum sieb­ten Mal soll in die­sem Jahr, am 11.​07.​2009, in Gera das NPD-​Open-​Air „Rock für Deutsch­land“ statt­fin­den. Sie­ben Jahre, in denen Bür­ge­rIn­nen, Par­tei­en und Stadt mehr oder we­ni­ger weg­schau­ten, sich vor ihren Auf­ga­ben, den damit ver­bun­de­nen Kon­flik­ten fürch­te­ten und in Angst und Igno­ranz ver­harr­ten. Nicht ein­mal 1% der Ge­ra­er Bür­ge­rIn­nen trau­te sich in den letz­ten Jah­ren Cou­ra­ge zu zei­gen. Zieht man davon noch all die­je­ni­gen ab, die de­mons­trier­ten und ihren Wohn­ort nicht in Gera haben oder hat­ten, fällt diese Zahl noch be­schä­men­der aus.

Gera – ein Trau­er­spiel! Und den­noch:
Nie zuvor war das In­ter­es­se in der bür­ger­li­chen Pres­se an die­sem Er­eig­nis so ge­ring wie in die­sem Jahr.
Auch auf par­la­men­tä­rer Ebene be­schäf­tigt man sich lie­ber mit Pro­blem­chen wie der Schaf­fung eines neuen Frei­ba­des und den damit ver­bun­de­nen Fi­nan­zie­rungs­fra­gen, an­statt sich damit aus­ein­an­der­zu­set­zen, wieso es über­haupt mög­lich ist, dass eine der bun­des­weit größ­ten Neo­na­zi­ver­an­stal­tun­gen bei­na­he un­ge­stört in aller Re­gel­mä­ßig­keit hier in Gera statt­fin­den kann.

Für uns als [AAG] stellt „Rock für Deutsch­land“ mehr als nur NPD und Musik dar. Für uns be­weist sich in die­sem Fes­ti­val der jähr­li­che Hö­he­punkt der Ge­walt-​ und Hass­ti­ra­den auf An­der­saus­se­hen­de und -​den­ken­de. Für uns steht fest, dass hier aktiv mit Hilfe von Musik und Reden um Nach­wuchs in der Szene ge­wor­ben wird, den­noch und ge­ra­de in die­sem Jahr wird man sich über Er­leb­nis­se im „Na­tio­na­len Wi­der­stand“ aus­tau­schen und ver­schie­de­ne Tak­ti­ken im Um­gang mit „po­li­ti­schen Geg­nern“ wei­ter­ge­ge­ben. 2008 z.B. konn­ten die selbst­er­nann­ten „An­ti-​An­ti­fas“ in Kom­bi­na­ti­on mit der Struk­tur der „au­to­no­men“ Na­tio­na­lis­ten ge­se­hen wer­den, die eine ganz star­ke Er­wei­te­rung zum Kli­schee des „glatz­köp­fi­gen, sprin­ger­stie­fel­t­ra­gen­den Neo­na­zisch­lä­gers aus dem Osten“ für die bür­ger­li­che Mitte dar­stell­ten. Dort war­ben sie auch aktiv um eine Trend­wen­de im rech­ten Spek­trum – lei­der, bzw. wie in Gera zu er­war­ten, mit Er­folg.

Seit nun­mehr sie­ben Jah­ren fin­det die­ses Er­eig­nis in Gera statt und die ra­di­ka­le und bür­ger­li­che Rech­te (die ehe­ma­li­ge Rand­grup­pe) kann sich immer fes­ter in das Ge­fü­ge der „Mitte“ ein­fin­den und zieht mit dem Li­fes­tyle, den neuen Aus­drucks­for­men und ihrer Sys­tem-​ bzw. Ka­pi­ta­lis­mus„-​kri­tik“, in Kom­bi­na­ti­on von Musik und Ge­sin­nung, mas­siv junge Leute an. In den Wo­chen vor dem Fes­ti­val wur­den Men­schen (ge­zielt) zu­sam­men­ge­schla­gen, neo­na­zis­ti­sche Pa­ro­len an Häu­ser­wän­de ge­schmiert. Angst vor fa­schis­tisch ori­en­tier­ter Ge­walt wird zum All­tags­zu­stand. Somit schaf­fen sich die Nazis eine pas­sen­de At­mo­sphä­re und Ku­lis­se für ihre Selbst­in­sze­nie­rung. Deutsch­land­weit wird für die­ses Fes­ti­val ge­wor­ben und aus dem ge­sam­ten In- und Aus­land kom­men dann die Be­su­che­rIn­nen, um ihrem Image ge­recht zu wer­den und sich dabei noch dank Staats­macht und Ord­nungs­äm­ter in Ge­bor­gen­heit wis­sen zu kön­nen.
Sie­ben Jahre, in denen sich die­ses Spek­ta­kel ge­stei­gert hat und in denen an­schei­nend kei­neR eine Re­ak­ti­on dar­auf zeigt. Man ist eher ver­är­gert über Stra­ßen, die auf­grund des an­ti­fa­schis­ti­schen Wi­der­stan­des kurz­zei­tig ge­sperrt wer­den müs­sen und stellt z.B. die Ge­gen­de­mons­tra­ti­on auf die glei­che Stufe wie das Na­zi­fest. Man will kei­nen Ärger haben, hat Angst auf der Stra­ße von Po­li­zei und/oder Rechts­ra­di­ka­len ver­prü­gelt zu wer­den –
DAS KANN UND DARF NICHT DER NOR­MAL­ZU­STAND SEIN!

Es bleibt wie­der an euch und uns hän­gen, die Nazis an die­sem Tag aus ihrem Frie­den zu rei­ßen und die­ses Groß­er­eig­nis best­mög­lich zum De­sas­ter zu ma­chen. Und hier kom­men Stadt und Staat ins Spiel: Es ist ein­deu­tig, dass eine Dis­kus­si­on um „rechts und links“ ge­führt wer­den muss: Man warnt vor ge­walt­tä­ti­gen lin­ken Chao­ten, die genau nicht bes­ser als die Neo­na­zis seien usw. usf. In einem Le­ser­brief im Nach­hin­ein be­züg­lich der Ge­gen­de­mons­tra­ti­on war zu lesen: Man habe sich an Hei­li­gen­damm 2007 er­in­nert, als man den ge­walt­be­rei­ten Schwar­zen Block sah. Von der Staats­sei­te for­dert man die Bür­ge­rIn­nen auf sich aktiv in der Mitte der Ge­sell­schaft zu en­ga­gie­ren und den „Rechts-​ wie Links­ex­tre­mis­mus“ aktiv ab­zu­leh­nen. Be­wusst wird hier das Druck­mit­tel der Angst aus­ge­packt. An­statt die Bür­ge­rIn­nen Geras auf­zu­for­dern, ihre Ab­nei­gung gegen ge­walt­tä­ti­ge Neo­na­zis und der­ar­ti­ge men­schen­ver­ach­ten­de Feste auf die Stra­ße zu tra­gen, wird sub­til dar­auf hin­ge­wie­sen, an die­sem Tage bes­ser da­heim „in Si­cher­heit“ zu blei­ben und sich nicht mit so­ge­nann­ten „Links­ex­tre­mis­ten“ ein­zu­las­sen. Dabei wird ganz be­wusst pro­vo­ziert, dass das En­ga­ge­ment für eine be­frei­te Ge­sell­schaft, ohne Hier­ar­chi­en, Ab- und Aus­gren­zung und ohne Ge­walt auf die glei­che Stufe wie die neo­fa­schis­ti­sche und ras­sis­ti­sche Ver­an­stal­tung ge­stellt wird, die zur glei­chen Zeit statt­fin­det.
DIES DARF ERST RECHT NICHT DER NOR­MAL­ZU­STAND SEIN!

Wir als [AAG] wol­len die­sen Zu­stand nicht län­ger hin­neh­men, wir sehen es nicht ein, dass es be­reits zum sie­ben­ten Mal ge­stat­tet wird, an­ti­se­mi­ti­sches, se­xis­ti­sches, na­tio­na­lis­ti­sches und ras­sis­ti­sches Ge­dan­ken­gut so mas­siv in Gera zu ver­brei­ten. „Bunt statt braun“ stellt für uns mehr als nur „Gegen Nazis“ dar – An­ti­fa­schis­mus be­deu­tet für uns, genau hier den Bruch mit der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft zu voll­zie­hen und eine ak­ti­ve Ge­sell­schafts­kri­tik zu ver­äu­ßern. Na­tür­lich müs­sen wir uns in dem Punkt auch an­er­ken­nend ge­gen­über jenen Bür­ge­rIn­nen zei­gen, die sich aktiv gegen rech­te Kul­tur und die rech­te Szene sowie das jähr­li­che „Rock für Deutsch­land“ ein­set­zen. Jenen Bür­ge­rIn­nen, denen es nicht egal ist, dass Na­zi-​Pa­ro­len an den Haus­wän­den be­ste­hen blei­ben, die die Auf­kle­ber ent­fer­nen und die sich für die Er­hal­tung und die Er­neue­rung des Stol­per­stein­pro­jek­tes ein­set­zen uvm., all denen gilt un­se­re Ach­tung und unser Re­spekt.

Wenn aber „bunt statt braun“ be­deu­tet, In­to­le­ranz mit To­le­ranz zu be­geg­nen, dann heißt es für uns An­ti­fa­schis­tIn­nen eine klare Ab­sa­ge an diese Kul­tur vor­zu­brin­gen. Auch die­ses Jahr wer­den wir uns nach bes­ten Kräf­ten an den Pro­test­ak­tio­nen be­tei­li­gen. Nur hof­fen wir dies­mal auf ein all­ge­mein grö­ße­res In­ter­es­se aller, die nicht den Men­schen­fein­den das letz­te Wort über­las­sen wol­len, dies eben­falls zu tun. Bei aller Kri­tik setz­ten wir den­noch auf ein ge­mein­sa­mes und pro­duk­ti­ves Mit­ein­an­der und stre­ben kein Ge­gen­ein­an­der an.
Denn eines soll­te Kon­sens sein: Der Kampf gegen den Fa­schis­mus!

„… bis die Schei­ße end­lich auf­hört! Na­zi­fes­te sa­bo­tie­ren, de­mon­tie­ren, at­ta­ckie­ren!“
– gemäß dem Motto:
Kön­nen wir doch nix dafür, wenn was zu Bruch geht!?

[AAG] An­ti­fa­schis­ti­sche Ak­ti­on Gera