Wie der Vogtland-Anzeiger auf die Propagandastrategie von Nazis hereinfällt

Ein Lehrstück rechter Propaganda und des unkritischen Umgangs mit ihr: Ein Wohnblock soll abgerissen werden, eine Mieterin ist Neonazi-Aktivistin und alarmiert ihre Freunde der Kaderorganisation „Der III. Weg“. Der Block wird gerettet, die Mieterin bedankt sich öffentlich in der Lokalpresse für die Unterstützung durch andere Nazis.

Tragisch ist an dieser Provinzposse vieles: Bisher war der chronisch klamme „Vogtland Anzeiger“ häufig die progressivere Alternative in der Lokalpresse gegenüber der „Freien Presse“, die sich für keine rechtspopulistische Agitation und mehr oder weniger offen zur Schau gestellte AfD-Propaganda zu schade ist. Mittlerweile scheinen jedoch auch dort journalistische Mindeststandards zusammengebrochen zu sein. Mehr dazu weiter unten.
Drehen wir die Zeit einige Monate zurück: Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, denen die „WBG Plauener Land“ als kapitalistisches Unternehmen wohl oder übel zwangsweise unterworfen ist, plante das Unternehmen die Stilllegung eines Wohnblocks im Dorf Gutenfürst. Die Mieter*Innen machten daraufhin auf ihre bevorstehende Entmietung und schlimmstenfalls den erzwungenen Umzug in andere Orte aufmerksam. Bald hing auch ein Transparent aus dem Block – kämpferische Mieter*Innen im Hinterland?

Es dauerte nicht lange, da äußerten sich die ersten Stimmen aus der Politik. Ulrich Lupart, als Dorfbürgermeister der Gemeinde Reuth seit Jahren im rechtspopulistischen Lager unterwegs und mittlerweile von der irrelevanten DSU zur AfD übergelaufen, versprach Unterstützung bei der Suche nach einem Investor. Und kurz darauf meldeten sich auch die ansonsten wenig in Mieter*Innenkämpfen bewanderten Nazis vom „III. Weg“ zu Wort. Es zeigte sich, dass dies kein Zufall war: eine der profiliersten Mieter*Innen ist Nicole Stiller, die im Internet aus ihrer rechten Gesinnung kein Geheimnis macht.

Neben den üblichen lokalpatriotischen Posts mit Sachsenflaggen („Ich wohne im Schandfleck und bin stolz drauf“) fällt vor allem eine schwarz-weiß-rote Flagge mit eisernem Kreuz und der Inschrift „Ja, ich lehne den Islam ab!“ auf. Auf Religion und speziell den Islam mittels eines klar faschistischen Symbols zu reagieren, lässt die Schlussfolgerung zu, dass es eben nicht um Religionskritik geht, sondern um die Verbreitung rechter Ideologie. Deutlicher wird es noch bei den „Gefällt mir“-Angaben: Dort stehen neben dem „III. Weg“ und dessen Nachrichtenportal „Unzensierte Nachrichten“ die Seite „Deutschlands bedauerliche Einzelfälle“, welche die User mit neuen Schreckensmeldungen zu vermeintlicher migrantischer Kriminalität versorgt, der Verschwörungstheoretiker KenFm, der rechte MMA-Kämpfer Tim Richter sowie der südthüringische Neonazi-Aktivist Tommy Frenck. Zwar gibt es keine Belege dafür, dass Stiller fest in Parteistrukturen des „III. Wegs“ eingebunden ist, jedoch ist eine geistige Nähe zu Neonazis überdeutlich.

Der Block von Gutenfürst hat nun neue Käufer gefunden. Umziehen muss niemand. Sowohl Vogtland Anzeiger als auch Freie Presse druckten das Thema vergangene Woche erneut an prominenter Stelle. Der Vogtland Anzeiger ist sich dabei nicht zu blöd, eine Dankeshymne Nicole Stillers für die Nazis vom “III. Weg” unkritisch abzudrucken. Natürlich mit dem Verweis, man kenne sich schon lange, und man sehe Gentsch und Konsorten nicht nach Parteizugehörigkeit, sondern als “Menschen”. Das sich Stiller und Gentsch schon lange kennen, glauben wir ihr anhand der auf ihrer Facebookseite sichtbaren (vorsichtig formuliert) starken ideologischen Übereinstimmung mit den Neonazis und Rassist*Innen des “III. Wegs” gern. Dass eine Lokalzeitung diese Scheiße auch noch druckt, ist nicht mehr nur traurig, sondern die fahrlässige Übernahme rechter Propagandastrategien. Ein wenig schlauer waren dabei die Kolleg*Innen von der “Freien Presse”: dort gibt Stiller immerhin zu, dass sie die Nazis selbst alarmiert hat.

Und die kämpfenden Mieter*Innen? Statt die Frage zu stellen, warum denn bitte Wohnraum überhaupt eine Ware sein soll, die damit nun einmal der Verwertung auf dem Markt und dem Zwang zur Erwirtschaftung eines Profits unterliegt, bleibt es bei der Hoffnung auf „die Politik“, die nun endlich mal „den kleinen Leuten“ zuhören solle. Wir wollen die Motivation der potentiell von Vertreibung betroffenen Mieter*Innen gar nicht kommentieren oder kleinreden – doch warum nun plötzlich entweder private Investor*Innen oder gar die Nazis von AfD oder dem „III. Weg“ die Verbündeten von Mieter*Innen sein sollen, ist mehr als fraglich. Einer Propagandastrategie aufzusitzen, ist die eine Seite der Medaille (und reicht schon aus, um das eigene Anliegen zu disqualifizieren). Sich mit Menschenfeinden gemein zu machen, eine andere. Und jenseits jeglicher moralischer Bewertung: Es zeigt, wie weit es mit dem „Antikapitalismus“ her ist, wenn als einziger Ausweg die Hoffnung auf eine/n Investor/in bleibt. Ebenso wie weit der Niedergang des vermeintlichen Journalismus bereits eingesetzt hat, wenn sich Nazis auf Seite drei bei Nazis für ihre Agitation bedanken dürfen.