Veto! Gegen jeden Rassismus

Wir dokumentieren an dieser Stelle den Aufruf zur Antifaschistischen und Antirassistischen Kampagne im Wahljahr 2014
Unter anderem unterstützte die Veto!-Kampagne auch die antifaschistische „Let’s Take It Back!“-Demo am 1. Mai in Plauen.

Intro

Tausende von Flüchtenden versuchen auf lebensgefährlichen Routen die Außengrenzen der EU zu überwinden, aufgrund zahlreicher Krisenherde suchen Menschen in ganz Europa Asyl – sofort meinen Politiker_innen, sich der »Verunsicherung« der Bevölkerung annehmen zu müssen. Dabei werden sehr berechnend Asyl-, Arbeits- und Sozialmigration durcheinander gewirbelt und mit unverhohlener Ablehnung gekoppelt. Es kämen zu viele “Fremde” und von denen die Falschen. Das Asylrecht – 1993 faktisch abgeschafft – greift in sehr wenigen Fällen. Die individuellen und vielfältigen Gründe für Migration interessieren nur selten.

Eine europaweite, autoritäre Krisenpolitik forciert rassistische Ressentiments. Der abgeschottete Nationalstaat erscheint vielen wieder als attraktive Option. In direkter Grenznähe zu Sachsen entfachen tschechische Rassist_innen Pogromstimmung gegenüber dort lebenden Roma. In Ungarn müssen sich Angehörige von Minderheiten registrieren lassen. In der Schweiz gab es einen Bürger_innenentscheid bei dem sich über 50% für eine Begrenzung der Zuwanderung aussprachen. In der EU wurde Anfang des Jahres mit der drohenden “Armutszuwanderung” rumänischer und bulgarischer Menschen ein Schreckensszenario entworfen. Diese Stimmung verdeutlicht einen ideologischen Rechtsruck in Europa, der sich auch hierzulande in den Wahlkämpfen zeigen wird.

Im derzeitigen politischen Klima lassen die kommenden Wahlkämpfe zu Kommunal- und Europawahlen sowie der anstehende Landtagswahlkampf in Sachsen Populismus und rassistische Hetze aller Schattierungen befürchten. Mit der Stimmungsmache von Politik und Medien wegen angeblich immens steigender Asylsuchendenzahlen in Deutschland wurde dem gemeinsamen Protest von Nazis und Bürger_innen gegen Unterkünfte für Asylsuchende bereits Vorschub geleistet. Schneeberg mag als prominentestes Beispiel für die Ablehnung von Migrant_innen seitens Nazis und Bürger_innen stehen, bezeichnet aber ein flächendeckendes Phänomen nicht nur in Sachsen.

Sächsische Zustände

Während im November 2013 die NPD in Schneeberg mit einer Bürgerinitiative einen Bürgerentscheid zur Unterkunft der Asylsuchenden forderte, löst der sächsische Innenminister Markus Ulbig das Problem, indem er nach dem Willen der Straße die Asylsuchenden aus Schneeberg wegbringt. In den meisten Fällen heißt das: Abschiebung. Die sächsische Regierung rühmt sich, bundesweit die “Spitzenposition” bei Abschiebungen im Jahr 2013 einzunehmen.

Die Bevölkerung in Sachsen kennt, sieht man einmal von den Großstädten ab, People of Colour und Migrant_innen größtenteils nur aus dem Fernsehen. Seit 1990 stieg der Anteil “ausländischer Bevölkerung” in Sachsen von 1,1% auf lediglich 2,2% bei etwas über vier Millionen Einwohner_innen. Die Behauptung “Angst” vor diesen Menschen zu haben, ist absurd und vorgeschoben. Die Ablehnung von Geflüchteten, Migrant_innen und Zuwander_innen hat nichts mit Angst zu tun, vielmehr ist sie die Folge von Rassismus, Nationalismus und der irrigen Annahme das eigne Leben sei mehr wert als das Anderer. Für den drohenden Privilegienverlust in Folge der Krise werden Asylsuchende verantwortlich gemacht.

Gern fordert die CDU eine stärkere nationale Ausrichtung sächsischer Politik, um das “Profil” der Partei zu schärfen und auch Stimmen aus dem rechten Lager zu erhalten. “Das Bekenntnis und der gesunde Stolz auf unsere Heimat sind für uns wichtige Grundlagen politischen Handelns. Patriotisch zu sein, hat nichts mit Rechtsextremismus zu tun, sondern ist wichtiger Stützpfeiler innerer Sicherheit. […] Wer nach Deutschland kommt und bereit ist, dies zu akzeptieren und sich dementsprechend zu integrieren, erhält unsere Unterstützung.”, betont etwa die Junge Union in ihrem Grundsatzprogramm. Das kam und kommt an: Seit 1990 stellt die CDU in Sachsen die Regierung, bis 2004 mit absoluter Mehrheit.

Kritik ist mindestens unerwünscht, im schlimmsten Fall “verfassungsfeindlich” und als solche auszugrenzen, zu überwachen und zu verfolgen. Antirassistische und antifaschistische Vereine und Initiativen werden unter Generalverdacht gestellt, Extremismusklauseln müssen unterzeichnet werden. Sitzblockaden gegen Naziaufmärsche werden mit immensen Aufwand juristisch verfolgt oder von der Polizei auseinander geknüppelt, für alternativen Zentren werden Konzertverbote erlassen, nicht-regierungstreuen Projekten droht Mittelentzug, Antifaschist_innen werden kriminalisiert. Der Prozess gegen Lothar König ist ein Paradebeispiel für eine speziell sächsische Auslegung von Recht und Justiz, ebenso wie die laufenden Ermittlungen gegen eine “mafiaähnlich” halluzinierte “Antifa-Sportgruppe” wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Hierin zeigt sich exemplarisch das autoritäre Politikverständnis der „sächsischen Demokratie“.

Wenig verwunderlich ist, dass sich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) in Sachsen bequem in der Illegalität einrichten konnte. Schon der frühere Ministerpräsident Kurt Biedenkopf legitimierte mit seiner These die sächsische Bevölkerung sei „immun gegen Rechtsextremismus“ kollektives Wegschauen und Verharmlosen. Die Naziszene ist bis heute zahlenmäßig stark und vergleichsweise gut organisiert. Die Zusammenhänge um den NSU bleiben jedoch unaufgeklärt, die Rolle von Ermittlungsbehörden und sächsischem Verfassungsschutz auch.

NPD-Wiedereinzug verhindern

Für die NPD ist Sachsen zentral. Hier findet sich immer noch der mitgliederstärkste Landesverband, hier hat die Partei Dutzende Mandate in Kommunalparlamenten und sitzt seit bald zehn Jahren in Fraktionsstärke im Sächsischen Landtag. Zuletzt erhielt die NPD etwa 100.000 Zweitstimmen bei der Landtagswahl. Sie verfügt, wenn auch nicht flächendeckend, über etablierte Strukturen, mit deren Hilfe sie ihre neo-nationalsozialistischen Positionen verbreitet und festigt. Dabei agiert sie eingebettet in eine weit verzweigte rechte Szene aus “Freien” Kameradschaften, Nazimusikbusiness, rechten Hooligans, Burschenschaften und Traditionstrachtenvereinen. Ein gesellschaftlicher Umgang, der viel lieber auf Ignoranz, Verharmlosung, sowie allenfalls auf die imageorientierte Dosis Repression setzt, als auf inhaltlich begründeten, entschiedenen und kontinuierlichen Widerspruch und Widerstand, sorgt für eine schleichende Normalisierung von Nazipositionen. Der NPD wird es so trotz momentaner selbstverschuldeter Schwäche nicht sonderlich schwer gemacht.

Rückgrat der NPD in Sachsen ist die Landtagsfraktion. Mit den derzeit acht Landtagsmandaten sind vielfältige personelle, finanzielle und strukturelle Möglichkeiten verbunden, die der gesamten Partei erheblichen Nutzen bringen. Durch den Mitarbeiter_innen- und Berater_innenstab werden weitere zwei Dutzend Nazikader mit Posten versorgt. Sie übernehmen Funktionen in den Kreisverbänden, der Bundespartei oder dem Jugendverband und halten den Parteiladen nicht nur in Sachsen am Laufen. Aus den Fraktionsmitteln werden Abgeordnetenbüros und Geschäftsstellen finanziert, die über die NPD hinaus als Anlauf- und Treffpunkte für die lokale Naziszene dienen. Das sogenannte Nationale Zentrum in der Leipziger Odermannstraße, das 2013 eröffnete “Haus Montag” in Pirna oder das Verlagsgelände des parteieigenen Deutsche Stimme-Verlags in Riesa stehen beispielhaft für die weitreichende Nutzung solcher Objekte. Sie sind Veranstaltungsorte für “nationale Liederabende” und klassische Rechtsrockkonzerte, für geschichtsrevisionistische Zeitzeugengespräche und Propagandavorträge, sie sind Trainingsstätte für Nazischläger und Orte für ungestörte Parteitreffen. Die erhöhte Präsenz von Nazis an diesen durch die Landtagsfraktion subventionierten Orten, geht einher mit einer starken Gefährdung nicht-rechter Personen, die schnell zum Angriffsziel der in den Objekten verkehrenden Nazis werden. Aber nicht nur finanziell profitiert die NPD von den Landtagsmandaten. Sie verschaffen der Partei eine politische Bühne, auf dem sie ihre rassistische, antisemitische und nationalistische Hetze präsentiert. Der eine oder andere kalkuliert herbeigeführte Skandal, sichert mediale Präsenz und Öffentlichkeit, sei es durch die besonders offen nationalsozialistische Rede, die zum Sitzungsausschluss eines NPD-Abgeordneten führt, oder durch den kollektive Verstoß gegen die Hausordnung des Landtages. Mit Anfragen und in Ausschüssen erlangen die Mandatsträger_innen Informationen, die für die Hetze gegen politische Gegner_innen weiterverarbeitet werden. Verliert die NPD all diese Möglichkeiten, wäre das ein weitreichender politischer wie auch finanzieller Verlust, verbunden mit der Folge, dass sich die Nazis auf verschiedenen Ebenen neu organisieren müssten. Schon das macht die Verhinderung des Wiedereinzugs zu einem relevanten, antifaschistischen Ziel.

Dass es um viel geht, ist allerdings auch der NPD bewusst. Bereits kurz nach der Bundestagswahl hat sie angekündigt, auf welche Karte sie bei den 2014 anstehenden Wahlen setzen wird. Und die heißt: Mobilisierung des Mobs. Die Kalkulation ist einfach. Dort wo es ihr, wie im nordsächsischen Rackwitz, gelang, an rassistische Proteste gegen Asylsuchendenunterkünfte anzuknüpfen, erzielte sie deutliche Stimmgewinne. Folglich wird sie alles daran setzen, Ähnliches flächendeckend zu wiederholen. Dass sie dabei durchaus den rassistischen Nerv “besorgter”, sächsischer Bürger_innen trifft, zeigen die rassistischen Mobilisierungen etwa in Schneeberg und Leipzig. Unter dem ziemlich löchrigen Deckmantel der “Bürgerinitiative” zogen über 1500 Personen mit Fackeln bewaffnet gegen eine Asylerstaufnahmestelle durch Schneeberg. In Leipzig beteiligten sich die Nazis an der Hetze gegen den Neubau einer Moschee und ein kurzfristig eingerichtetes Asylheim. Ähnliche “Bürgerinitiativen” wurden in Chemnitz, Borna, Rötha, Neukirch und Hoyerswerda aktiv oder stehen in den Startlöchern. Fast immer werden sie von NPD-Kadern initiiert, vorangetrieben oder organisatorisch unterstützt. Das sind dann meist Leute, die bereits seit Jahren in den Stadt- oder Gemeinderäten sitzen und innerhalb ihrer Region gut vernetzt sind. Ihre politischen Positionen werden vor Ort kaum problematisiert, womit die Grundlage für eine Normalisierung der NPD im politischen Alltag geschaffen wird. Schon deshalb sollte der, der Landtagswahl vorgelagerte, Kommunalwahlkampf nicht unterschätzt werden und aus dem Blick geraten. Hinzukommt die termingleiche Europawahl, bei der sich die NPD nicht grundlos den Sprung ins Parlament erhofft. Dass die NPD im Wahlkampf Brandstifterei als legitimes Mittel betrachtet, ist kein Geheimnis. Alles daran zu setzen, dass sie damit nicht erfolgreich ist, bleibt Aufgabe antifaschistischer Praxis.

Das Problem heißt Rassismus!

Fakt ist aber auch: In vielen Gegenden ist die NPD gar nicht nötig, um einen Anlass für antirassistische und antifaschistische Interventionen zu haben. CDU, FDP und neuerdings die Alternative für Deutschland (AfD)versuchen sich mit Chauvinismus, Rassismus und ordnungspolitischer Diktion gegenseitig den Rang abzulaufen. Die sächsische Staatsregierung klopft sich für ihre rigorose Abschiebepolitik auf die Schulter, sie hält die Sorgen jener Bürger_innen für „berechtigt“, die zu Hunderten mit Fackeln auf die Straße rennen, und der sächsische Innenminister Markus Ulbig greift die NPD-Diktion vom Asylmissbrauch auf, den es zu verhindern gelte. Mit der AfD tritt eine weitere rechte Partei auf den Plan, die mit nationalchauvinistischen Kurs den Sprung in den Landtag schaffen könnte. Dabei spielt gerade der sächsische Verband eine Vorreiterrolle, der den offen Rechtskurs der AfD vorantreiben möchte, und gegen “massenhafte Einwanderung” und “die Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft” mobil macht. Während sich SPD und Grüne gegenüber NPD und AfD noch abgrenzen, verhalten sie sich gegenüber der CDU erstaunlich ruhig. Offensichtlich dient das als Vorbereitung auf die Rolle als Steigbügelhalter, sollte die CDU bei der Wahl doch nicht die absolute Mehrheit erreichen. Auch die Linke hält sich im Zweifel bedeckt, wenn der Mob durch die Straße zieht und sie ihr eigenes Wähler_innenklientel nicht verschrecken möchte.

Unbegründet ist die Hoffnung, dass die Konkurrenz zwischen den rechten Parteien das Problem von alleine lösen wird. Hier widerspricht die Erfahrung, dass diese sich im Wahlkampf eher gegenseitig beflügeln und von einem Rechtsruck profitieren. Die CDU-FDP-Regierung ist im Zweifel bereit, sich auf diesen Diskurs einzulassen. Die Hoffnung ebenfalls noch ein paar Stimmgewinne verbuchen zu können, macht die rassistische Stimmungsmache erst recht salonfähig.

Wer in der Debatte um Asyl und Unterbringung keine Stimme erhält sind die Betroffenen des Rassismus selbst, die Geflüchteten. Auch ohne die Bedrohung durch Nazis und „Bürgerinitiativen“ sind diese in Deutschland mit einem feinmaschigem System von Ausgrenzung, rassistischen Sondergesetzen, gesellschaftlicher Isolation sowie einer zynischen Abschiebemaschinerie konfrontiert. Seit mehreren Jahren gibt es wieder vermehrt selbstorganisierten Widerstand gegen diesen Zustand, der sich derzeit am stärksten in Berlin und Hamburg manifestiert. Wenn der Schwerpunkt unserer Kampagne auch auf der Auseinandersetzung mit Akteuren des gesellschaftlichen Rassismus liegt, so tun wir dies in Solidarität mit den Kämpfen der Geflüchteten und unterstützen ihre Forderungen beispielsweise nach selbstbestimmtem Wohnen.

Veto!

„Antifaschismus ist nicht die richtige Antwort […]“ meint Markus Ulbig (CDU). Das sehen wir anders. Um nicht endgültig im Sachsensumpf zu versinken, ist es unser Ziel, antifaschistische und antirassistische Positionen in den anstehenden Wahlkämpfen in die Öffentlichkeit zu tragen.

Die Kampagne konzentriert und bündelt antirassistische und antifaschistische Aktivitäten im Wahljahr 2014. Wir werden rassistische und sonstige regressive Äußerungen dokumentieren und wo es geht, darauf reagieren – egal von welcher Partei diese ausgehen. Die Kampagne wird eigene Akzente setzen, um die sächsische Verhältnisse zu kritisieren und ihnen etwas entgegensetzen.

Die Aktionen werden getragen von verschiedenen antirassistischen und antifaschistischen Gruppen und Einzelpersonen. Eine Beteiligung an der Kampagne ist jederzeit möglich! Egal ob ihr Berichte aus der eigenen Region veröffentlichen, zu lokalen Aktionen mobilisieren oder vor Ort überregionale Aktivitäten unterstützen wollt, eure Mitwirkung in der Kampagne ist jederzeit willkommen und notwendig. Politik ist mehr, als alle paar Jahre einige Kreuzchen zu machen.

Nieder mit den sächsischen Verhältnissen – hier und überall!